Thursday, July 23, 2015

Ilkay Gündogan nach Spießrutenlauf auf Kuschelkurs

Der deutsche Nationalspieler wurde von den Dortmunder Fans für seine Wechselabsichten beschimpft und verunglimpft. Verlorenes Vertrauen möchte er zurückgewinnen. Doch es wird nicht leicht.

Nationalspieler Ilkay Gündogan hat nach seinem Wechselhickhack an Kredit bei den Fans von Borussia Dortmund verloren. Auch seine Vertragsverlängerung bis 2017 ändert daran nichts
Zur Auflockerung erzählt Ilkay Gündogan erst mal eine kleine Anekdote. Mit Shinji Kagawa, seinem japanischen Mittelfeldkollegen bei Borussia Dortmund, verstehe er sich ausgesprochen gut, erklärte er. Vor einigen Jahren habe er mit Kagawa in einem Mehrfamilienhaus gewohnt, er im zweiten Stock, Kagawa im fünften. Und da Kagawa damals seinen Führerschein für einen Monat abgeben musste, hätte er sich als Chauffeur betätigt. "Ich habe ihn mit zum Training genommen und anschließend wieder nach Hause gebracht", sagte Gündogan und lächelte dabei. Kagawa, der beim Frage-und-Antwort-Spiel mit den Journalisten in Bad Ragaz (Schweiz) neben Gündogan saß, lächelte auch, allerdings ein wenig gequält.
Gündogan wirkt derzeit wie jemand, der auf einer Art Wiedergutmachungstour ist. Nicht, dass er das nötig hätte. Der 24-jährige Nationalspieler wollte nur das tun, was im Profigeschäft das Normalste der Welt ist. Er wollte eigentlich den Verein verlassen, hatte Wechselmöglichkeiten ausgelotet. Der BVB war damit einverstanden. Nachdem ihm Gündogan, der noch einen gültigen Vertrag bis 2016 hatte, signalisiert hatte, dass er sich keine langfristige Verlängerung vorstellen kann, standen die Dortmunder vor der Wahl: Entweder sie halten Gündogan bis zum Vertragsende, oder sie kassieren eine Ablöse.
Sie entschieden sich für die zweite Variante. Dann aber ließen sich die Wechselabsichten, warum auch immer, nicht realisieren. Der BVB reagierte mit einer Maßnahme zur Schadenbegrenzung: Er verlängerte mit Gündogan um ein Jahr bis 2017. So läuft der Verein nicht Gefahr, leer auszugehen, wenn Gündogan erst im kommenden Sommer wechseln wird.
Doch auch der bestmögliche Deal ist eben nicht immer das, was sich Fußballfans wünschen. Ein großer Teil der BVB-Anhänger, zumindest die Aktivisten aus den sozialen Medien, opponierten gegen eine Weiterbeschäftigung Gündogans und ließen ihn das auch spüren: Mit bissigen Kommentaren im Internet und mit Pfiffen. Negativer Höhepunkt war die offizielle Vorstellung der Mannschaft im Stadion. 41.000 Zuschauer waren gekommen, und ein nicht unerheblicher Teil pfiff, was das Zeug hielt, als Gündogan von Stadionsprecher Norbert Dickel auf den Rasen gerufen wurde.

Gündogan Opfer einer Fehlberatung?

"Es ist natürlich nie schön, wenn man im eigenen Stadion aufläuft und das so mitkriegt. Das tut weh", sagte Gündogan und fügte dann aber sofort an, dass er "die Reaktionen in Teilen nachvollziehen" kann. Warum eigentlich? Hatte er nicht stets betont, dass er in seinem Karriereplan noch einmal einen Wechsel vorgesehen hat? War er diesbezüglich nicht immer ehrlich gewesen?
Das schon, aber es ist eben verdammt schwer, dies auch so zu formulieren. Gündogan, dessen Qualitäten in erster Linie darin bestehen, mit seiner Übersicht und seinen Pässen das Spiel zu eröffnen und Angriffe einzuleiten, ist in diesen Tage sehr defensiv. Er kann sogar nachvollziehen, dass ihn Menschen online beschimpft und verunglimpft haben. Pflichtschuldig beteuert er, dass er alles dafür tun werde, um sie zurückzugewinnen. Dies werde zwar nicht leicht, aber es sei auch nicht unmöglich, glaubt er. "Es gibt welche, die glücklich sind, dass ich verlängert habe. Dann gibt es welche, die abwarten, ob ich zukünftig meine Leistung bringen werde, und es gibt Leute, bei denen es ein wenig schwieriger sein wird, sie zu überzeugen", erklärte er: "Ich werde Vollgas geben, dann kann ich auch relativ schnell ein paar Herzen zurückerobern."
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich Gündogan derartig in die Nesseln gesetzt hat? Was ist schiefgelaufen? Gündogan ist möglicherweise auch Opfer einer gewissen Fehlberatung geworden: Sein Management, inzwischen in der Hand seines Onkels Ilhan Gündogan, konnte jedenfalls weder einen Wechsel zum FC Bayern München noch zu Manchester United organisieren. Gleichwohl waren die Gespräche, die mit diesen Vereinen geführt worden sind, an die Öffentlichkeit gelangt. Gleichzeitig hatte der BVB eine Pressemitteilung veröffentlicht, wonach die Zusammenarbeit über den 30.6.2016 hinaus nicht verlängert werde. Das alles erschwerte es, die in beiderseitigem Interesse durchaus sinnvolle Kehrtwende plausibel zu erklären. Zwischenzeitlich fragte Gündogan sogar bei Bundestrainer Joachim Löw um Rat.

Borussia Dortmund als Wohlfühlzone

Mittlerweile ist Gündogan bereit, beim BVB "wieder in Topform" zu kommen, und zeigt sich davon überzeugt, dass er die Perspektiven, die ihm in Dortmund geboten werden, durchaus zu schätzen weiß. Auch wenn ihm mit Gonzalo Castro, den der BVB wohl auch im Glauben, dass Gündogan gehen könnte, geholt hatte, ein neuer Konkurrent zur Seite gestellt worden ist. Speziell die Gespräche mit Borussia-Neutrainer Thomas Tuchel haben Gündogan das Gefühl gegeben, dass er in der kommenden Saison gebraucht wird. "Für mich war es wichtig, dass wir uns austauschen, bevor wir in die Saisonvorbereitung starten", sagte Gündogan und berichtete von einem "positiven" Vieraugengespräch, das er mit dem Nachfolger von Jürgen Klopp geführt hatte: "Das war für beide Seiten wichtig."
In den Tagen von Bad Ragaz, wo der BVB noch bis zum kommenden Sonntag das Sommertrainingslager absolviert, wirkt Gündogan wesentlich befreiter als gegen Ende der vergangenen Saison. "Wenn man weiß, was in der kommenden Saison passiert, ist das immer besser, als in Unklarheit zu leben", sagte er: "Nur kann man das nicht immer erzwingen. Für mich war es aber immer klar, dass ich hier meine Wohlfühlzone habe. Ich bin froh, dass jetzt alle Seiten Klarheit haben." Zumindest für ein Jahr.

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